Der Treppenaufgang
Martinsplastik und Friedhofskreuz
Die Pfarrkirche
zählt zu den baulichen Kostbarkeiten St. Martins.
Sie erhebt sich gebieterisch auf einem Hügel am Nordrand
des Dorfes, gleichsam als wollte sie alles, was sich ihr zu Füßen
ausbreitet, unter ihren Fittichen vereinen und beschützen.
Der Aufstieg zur Kirche führt von Süden her über
einen reizvollen Treppenaufgang durch den Torbogen einer hohen
Stützmauer zum Kirchenvorplatz.
Westlich des Turms erinnert ein steinernes, barockes Kreuz mit
Tisch-Sockel an den ehemaligen Friedhof, der sich einst rings
um die Kirche ausdehnte.
1830 verpflichtete ein Gesetz alle Gemeinden, die über tausend
Einwohner zählten, ihre Toten außerhalb der Ortschaft
zu bestatten. Die Gemeinde erwarb östlich des Dorfes einen
neuen Begräbnisplatz, der 1831 eingesegnet wurde. Der alte
Kirchhof verödete. 1879 wurden alle restlichen Gräber
eingeebnet und auf dem ungenutzten Gelände nördlich
der Kirche ein neues Schulhaus erstellt.
Auf dem
Gesims der Stützmauer, die den Kirchenvorplatz einfriedet,
erhebt sich über dem Treppenportal, eingeschlossen in den
Kreislauf der Natur und der Arbeit, die fast lebensgroße
Steinfigur des hl. Martinus. Seine rechte Hand reicht einem Bettler,
der ihm zu Füßen kniet, ein Almosen. In vollem Bischofsornat,
den Hirtenstab in der Linken, blickt der Heilige über die
Dächer und Fluren des Dorfes, das ihn seit frühester
Zeit zum Kirchen- und Dorfpatron erhoben hat. In edler Gebärde
auf sein hohes Amt hinweisend, mahnt er die Menschen, die seine
Hilfe und seinen Schutz begehren, die ewige Wahrheit vor die
Vergänglichkeit des irdischen Lebens zu stellen.
Die Geschichte der Pfarrkirche
Das Patrozinium des heiligen Martinus geht auf
eine in fränkischer Zeit errichtete Kirche zurück.
Damals erstellten vermögende Grundherren auf ihrem Grund
und Boden Eigenkirchen, die dem stürmisch verehrten Nationalheiligen,
dem Bischof Martin von Tours, geweiht wurden. Der Grundherr war
Eigentümer der Kirche und heuerte einen Geistlichen an.
Eine Urkunde, die den Baubeginn der hiesigen Kirche belegt, ist
nicht vorhanden, die architektonischen Formen der Untergeschoße des Turmes weisen aber
auf das letzte Drittel des 11. Jahrhunderts als Baubeginn eines ersten Steinbaues.
Eine Urkunde aus dem Jahr 1203 berichtet, dass die Kapelle
"in villa quae dicitur apud sanctum Martinum" aus seelsorgerlichen Gründen
von ihrer bisherigen Pfarrei Kyrwile (Kirrweiler) abgetrennt
und zur selbständigen Pfarrei erhoben wird.
Gleichzeitig wird das Patronatsrecht an dieser Kirche
dem Counrad de Cropfesberg (Konrad von Kropsberg),
welcher zahlreiche Stiftungen zur Dotierung der Pfarrpfründe geleistet hat,
als Seniorats-Erbrecht im Mannesstamme verliehen.
Eine weitere Urkunde aus dem Jahr 1285 bezeugt einen Pleban
(Leutpriester) namens Heinrich zu St. Martin.
Die Kirche jener Zeit dürfte kurz nach 1200 erbaut worden sein.
Dies geht aus einem Schreiben des St. Martiner Gerichts 1756
hervor. Der anlangende Text lautet: "Das Gotteshaus, das
um 1200 erbaut worden ist, befindet sich in einem desolaten Zustand."
Vermutlich musste damals eine abbruchreife Kapelle einem
soliden, dreischiffigen Steinbau weichen.
"Die Kirche ist ganz mit Wölbungen bis zum Dach hoch
gut gebaut", bezeugte Kaplan Schwabius in einem Visitationsbericht des
Jahres 1583.
Bis zur Reformation gehörte die Pfarrei St. Martin zum Dekanat
Weyher, dem 54 Ortschaften unterstanden. Der Dekan übte
die Aufsicht über die Pfarreien aus. Er selbst unterstand
als Archidiakon dem Dompropst zu Speyer.
1487 beurkundete der Speyerer Dr. jur. utr. Generalvikar Georg
von Gemmingen die Vereinigung des Benefiziums der Pfarrkirche
"Decem millium martyrum" mit dem Benefizium "Sankt
Aegidi" auf der Kropsburg.
Dies hatte unter anderem zur Folge, dass die Lehensträger
der Kropsburg, die Kämmerer von Worms genannt von Dalberg,
die Pfarrkirche mit erlesenen Kunstwerken ausstatteten. Der Um-
und Erweiterungsbau der Kirche in den Jahren 1488 und 1492 dürfte
mit der Pfründenvereinigung im Jahr 1487 in engem Zusammenhang
gestanden haben.
Vermutlich hat Junker Hanns von Dalberg im Jahr 1492 den Bau
des Chors angeregt, dessen Anlage mit dem der Herxheimer Kirche
eng verwandt ist.
Bereits 1465 ließ Junker Hanns von Dalberg, der Sohn des
Philipp, einen gewölbten Anbau östlich des Nordseitenschiffs
als Begräbnisstätte erstellen.
Die Instandhaltung oder Errichtung des Mittelbaus oblag den Empfängern
des Weinzehnten, mit Namen: Junker Erhart von Ramberg, die Kämmerer
von Worms genannt von Dalberg und die Domherren zu Speyer.
Der Pastor zu St. Martin musste den Chor decken und unter
Dach halten. Der Gemeinde oblag die Errichtung oder Instandhaltung
des Turms.
1774 bat der Fürstbischof zu Speyer das "Hochwürdige
Hohe Domkapitel" und Gottlob Amand von Dalberg, das baufällige
Langhaus durch einen Neubau ersetzen zu wollen.
Daraufhin wurde der dreischiffige, mit Rippengewölben versehene Mittelbau abgetragen und
durch einen verbreiterten flachgedeckten Saalbau ersetzt, der den Turm in den Kirchenraum einbezog.
Am 6. Oktober
des Jahres 1779 fand die feierliche Einweihung der erweiterten
Kirche statt. Im Chor stand ein byzantinischer Altar, der dem
hl. Martinus geweiht war. Der Altar zu Ehren der Gottesmutter
Maria und der des hl. Josef standen außerhalb des Chorraumes.
Der antike Benefiziataltar "Von den Zehntausend Märtyrern"
verblieb weiterhin in der Kirche, und zwar beim Grabmal der Dalberger.
Die Einwohnerzahl des Dorfes stieg ständig. 1889 beauftragte
der Fabrikrat den Architekten Ferdinand Bernatz von Speyer, den
Kirchenerweiterungsbau durchzuführen.
Der spätgotische Chor wurde abgetragen und östlich
des erweiterten Langhauses in den alten Bauformen wieder erstellt.
Die Flachdecke des um drei Fensterachsen verlängerten Langhauses
erhielt Malereien, die die Aufmerksamkeit des Besuchers auf sich
ziehen. Im Mittelfeld, gerahmt von reichem Rankenwerk, erscheinen
das Lamm Gottes mit den Attributen der vier Evangelisten: Engel
(Matthäus), Adler (Johannes, s. Abb.), Löwe (Markus) und Stier
(Lukas).
Um eine gute Proportion zwischen Turm und Kirchengebäude
herzustellen, wurde der Turm um zehn Meter erhöht.
Durch den Erweiterungsbau beträgt die Flächenzunahme
des Kirchenschiffs etwas mehr als 40%.
Die Kirche ist 41 m lang und 17,5 m breit. Der Chor hat eine
Breite von 7,5 Metern.
Der Innenraum der Kirche
Durch das spitzbogige Westportal, über
dem die Jahreszahl 1488, das Jahr der Erneuerung desselben eingemeißelt
ist, gelangt der Besucher zunächst ins Turmuntergeschoß,
dessen Decke aus einem Rippenkreuz-Gewölbe besteht. Die
gekehlten Rippen entwachsen unmittelbar der Wand. Auf dem Schlußstein
im Schnittpunkt der Rippen sind das Gemeindezeichen und die Jahreszahl 1490
eingemeißelt. Der viergeschossige Turm springt in das Langhaus ein.
Wer nun die Kirche betritt, wird überrascht sein. Der hohe,
lichte Innenraum, die Formen und die ausgewogene Farbgebung verbreiten
Harmonie.
Der flachgedeckte Saalbau mündet in den spätgotischen
Chor, den polygone Seitenkapellen flankieren.
Die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes,
die Verfasser der Heils- und Frohbotschaft, beherrschen das Langhaus.
Sie dominieren im Mittelfeld der bemalten Decke, dekorieren figürlich
den Korpus der kelchförmigen Kanzel und heben als plastisch
modellierte Symbolfiguren die Eckpfeiler des Zelebrationsaltars
hervor.
Das Langhaus war, wie oben beschrieben, im Mittelalter dreischiffig. Es
wich 1774-1779 einer barocken und 1890 einer neugotischen Anlage.
Die spitzbogigen, zweigeteilten Fenster und die reiche Innenausstattung
wurden 1890 im "gotischen Style" geschaffen.
Ein Chorbogen trennt den Altarraum vom Langhaus. An den Pfeilern sind die barocken,
fast lebensgroßen Skulpturen des hI. Martin und Urban angebracht.
Die eindrucksstarken Glasgemälde in Chorraum und Seitenkapellen
schuf 1891 der Künstler Josef Machhausen aus Horchheim bei
Koblenz. Die Glasgemälde zu beiden Seiten des Mittelfensters
sind eine Schöpfung der Münchener Kunstwerkstatt aus
dem Jahr 1935.
Der Innenraum der Kirche wurde 1985/86 einer
gründlichen Renovierung unterzogen, womit Architekt Wilfried
Schulz aus Neuhofen bei Speyer beauftragt wurde.
Um dem Saalbau Gleichförmigkeit zu geben, wurden die Grablegung
Christi und das Doppelgrabmal des Hanns von Dalberg und seiner
Gemahlin Katharina geb. Cronberg versetzt.
Die Altäre und die Kanzel passen sich durch die neue Farbgebung
(Eiche natur) der gesamten Raumgestaltung an. Die barocken Beichtstühle
wurden tiefer in die Seitenwände eingelassen und der Fußboden
mit Marmor aus der burgundischen Partnergemeinde Chassagne-Montrachet
belegt. Außerdem wurden die Fenster des Schiffs und der
Seitenwände des Chors farbig gestaltet, sämtliche Skulpturen
neu gefasst und Decke und Wände saniert. Mehr denn
je strahlt nun die Kirche Würde und Wärme aus.
Der Altarraum
Der Altarraum öffnet sich in einem
Spitzbogen. Sieben zweigeteilte Fenster mit Maßwerk in
verschiedenen Figurationen erhellen den dreiseitig geschlossenen
Raum. Junker Hanns von Dalberg hat 1492 den spätgotischen
Bau angeregt und Jakob von Landshut damit betraut.
Das Netzgewölbe
umfasst drei Joche. Die gekehlten Rippen ruhen auf profilierten
Polykonsolen, denen Köpfe, vermutlich die Büsten des
Baumeisters und dessen Ehefrau, vorgelegt sind. Der Gewölbegrund
zeigt als Schlußsteine Tartschen mit den aufgemalten Wappen
des Bischofs Ludwig von Helmstadt/Helmstatt (1478-1504), der Ritter von Dalberg und derer
von Flersheim (Flörsheim / blau-silber-rot geteilt). Das Gewölbesystem könnte von Straßburg
angeregt worden sein. Die Reihung der schildförmigen Rippenmotive
ergibt ein eigenartiges Gewölbesystem. Grimschitz bezeichnet
es als "Rippenführung in gegenständlichen Schildpaaren".
Drei Stufen führen zum Hauptaltar, den der Künstler
Josef Staudenmaier aus Klein-Süssen (Württemberg) geschaffen
hat. Das Antependium besteht aus drei Füllungen, die im
Hochrelief die Emmaus-Szene (Mitte), das Opfer des Meichisedech
(rechts) und das Opfer des Abraham (links) darstellen. Der Altaraufsatz
besteht aus Eichenholz. Er enthält den reich dekorierten
Tabernakel. Darüber ist eine offene Nische mit Baldachin
und durchbrochenem Turmaufbau. In der Nische steht ein geschnitztes
Kreuz mit dem Corpus Christi im gotischen Stil, das zwei anbetende
Engel flankieren.
Der Altaraufbau wird durch die Figuren des hl. Kaisers Heinrich
II. und seiner Gemahlin Kunigunde abgeschlossen. Der Kaiser hält
ein Modell des Bamberger Doms in Händen.
Den Zelebrationsaltar und den Ambo aus fränkischem Marmor
schuf 1986 der Künstler Leopold Hafner aus Aicha Vorm Wald.
Die Weihe des Altars fand am 8. März 1986 statt.
Das Sakramentshäuschen
Das Sakramentshäuschen an der
linken Chorseite der Pfarrkirche ist eine beachtenswerte Schöpfung
des frühen 16. Jahrhunderts. Ein ähnliches Kunstwerk
besitzt in der Pfalz nur die Pfarrkirche in Herxheim.
Der Sockel ist gut gegliedert. Ein gekehlter Ständer mit
gewundenen Stäben trägt einen nach drei Seiten offenen
Tabernakel. Hinter dem schmiedeeisernen in Durchsteckarbeit gefertigten
Gitter wurden nach alten Berichten das Sanktissimum, ein Meßkreuz,
drei silberne Kapseln mit Chrisam "und andere heilige Dinge"
sowie eine vergoldete Monstranz aufbewahrt.
Den Tabernakel krönen mit Maßwerk und Krabben gezierte
Kielbogen und Fialen, aus denen ein durchbrochener Turmaufsatz
mit Spitzhelm aufsteigt.
Dieses Werk der Steinmetzkunst erreicht eine Höhe von etwa
sechs Metern.
Nach dem Konzil von Trient (1545- 1563) wurden die Sakramentshäuschen
überflüssig. Die Konzilsväter hatten beschlossen,
dass künftighin das Sanktissimum auf dem Hauptaltar
in einem Tabernakel aufzubewahren ist. Das Ewige Licht im Sakramentshäuschen
weist auf die Gegenwart Christi im Tabernakel hin.
Die Kanzel
An der Langhausnordwand, wo sich
früher der Chor öffnete, erhebt sich wie ein Kelch
die Kanzel. 1890 schuf sie der Künstler Josef Staudenmaier
aus Klein-Süssen (Württemberg), aus dessen Werkstatt
auch die drei Altäre der Kirche stammen.
Auf einem Sandsteinsockel basiert der Ständer, der den achteckigen
Korpus trägt. In den Nischen der Brüstung stehen auf
Postamenten die vier Evangelisten mit Symbolfiguren. Das Mittelfeld
zeigt Maria, die Königin der Apostel. Die Nischen sind mit
Ornamenten besetzt
Der Schalldeckel, der als spätgotische Gewölbekonstruktion
ausgeführt ist, endet in der Vertikalen als Fiale, deren
Tabernakel den Guten Hirten birgt
Korpus und Schalldeckel sind aus Eichenholz.
Das barocke Vortragskreuz an der Rückwand, ein Kunstwerk
aus dem 18. Jahrhundert, verdient Bewunderung.
Die spätgotische Himmelskönigin
Die Marienstatue auf dem nördlichen
Seitenaltar ist das älteste Kunstwerk in der Kirche. Vermutlich
haben die Ritter von Dalberg, die als Lehensträger die Kropsburg
innehatten, neben dem Sakramentshäuschen und anderen Ausstattungen
auch die Madonna 1490 gestiftet.
Die St Martiner waren damals nicht imstande, ein derartiges Meisterwerk
zu erwerben. Häufige Missernten, Fron, hohe Abgaben
und Unfreiheit trieben viele Menschen in unvorstellbare Armut.
Die Altarplastik ist ein erlesenes Holzschnitzwerk. Gotischer
Idealismus, zarte Innigkeit und königliche Anmut prägen
die Gestalt der Gottesmutter, die sich in S-Schwingung erhebt.
Auf dem mädchenhaften, von langem Haar umrahmten Haupt erglänzt
die Krone der Himmelskönigin.
Versöhnend wirkt das vollrunde Kinn mit den reizvollen Grübchen.
Aus einem Faltenknäuel ragt die schmale Hand der Himmelskönigin.
Sie fasst behutsam das unbekleidete göttliche Kind.
Die rechte Hand stützt ehrfürchtig Fuß und Bein
des Knaben.
Zu Füßen der Gottesmutter ist ein Sichelmond, auf
dem die Falten des Gewandes aufsitzen.
Die Madonna, ein Werk spätgotischen Schaffens, repräsentiert
keine bäuerlichen Züge, sondern die Empfindungen und
Kultur des Adels.
St. Martin und St. Urban
Unter den zahlreichen plastischen
Werken fallen die barocken Statuen des hl. Martin und hl. Urban
durch Form- und Farbgebung auf. Die Skulpturen sind an den Pfeilern
des Chorbogens zu erkennen. Der hl. Martin wird hierorts als
Dorf- und Kirchenpatron auf besondere Weise verehrt. Mit seinem
Namen hat sich sein Fortwirken als Brauchtum entwickelt. Der
Martinstag, das ist der 11. November, wird festlich begangen.
In der Kirche tritt der Heilige den Beschauern als Bischof entgegen,
der einen Hungrigen speist Das Kunstwerk nimmt einen Ehrenplatz
ein. Damit will man der vielseitigen Bedeutung des Dorf- und
Kirchenpatrons gerecht werden und ihn noch vertrauter machen.
Die Geste des Heiligen erinnert an seine nimmermüde Hirtensorge,
an seine erbarmende Liebe, die Hilfesuchenden und Entrechteten
Trost und Schutz gab.
Als Gegenstück blickt St. Urban auf die Kirchenbesucher
herab. Das Fest dieses heiligen Bischofs fällt auf den 25.
Mai.
Schon seit Jahrhunderten verehren die Winzer den hI. Urban als
ihren Schutzpatron. Sie sehen in ihm einen mächtigen Fürsprecher
bei Gott, der sich für ihre Belange einsetzt. Er soll ihre
Arbeit und die Weinberge segnen, damit nicht Rebschädlinge
oder Unwetter ihre Ernte vernichten.
St. Urban war einst Bischof von Autun und Langres in Burgund.
Einmal, so berichtet die Legende, stellten ihm seine Feinde nach.
Als sie ihm dicht auf den Fersen waren, suchte er Schutz hinter
einem Weinstock.
Diese Überlieferung hat zur Folge, dass der heilige Urban
häufig mit einer Traube oder Rebe dargestellt wird.
Die Schutzheiligen: St. Wendlinus, St. Sebastianus
Der Innenraum der Kirche ist mit
figürlichem Schmuck ausgestattet. Er zielt in seiner Wirkung
darauf ab, neben dem Dorf- oder Winzerpatron die Aufmerksamkeit
auf die Skulpturen des hl. Sebastian und des hl. Wendelinus,
beiderseits des Langhauses, zu lenken.
Die Verehrung der beiden Schutzheiligen geht in das frühe
Mittelalter zurück und währte in besonderem Maße
bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges.
1779 erhob die von Leid und Schicksalsschlägen erschütterte
Gemeinde den Pestschutzheiligen St. Sebastianus und den Viehseuchenheiligen
St. Wendelinus zu Nebenpatronen und stellte deren Bildnisse als
Zeichen besonderer Würdigung zu beiden Seiten des Hauptaltares
auf. Außerdem legte die Gemeinde das Gelöbnis ab,
die beiden Heiligen "auf ewige Zeiten" zu verehren
und deren Gedenktage feierlich zu begehen.
St. Wendelinus ist als Hirte, St. Sebastianus als römischer
Offizier figürlich dargestellt.
Die Grablegung Christi
Vor dem Zugang zur
Seitenkapelle des hl. Josef, in die Südwand des Langhauseseingelassen,
ist eine der bedeutendsten spätgotischen Arbeiten unseres
Raumes, ein Steinrelief der Grablegung Christi aus dem Jahr 1514.
Das Kunstwerk dehnt sich auf einer Fläche von 1,75 m auf
3,00 m aus. Der heilige Leichnam Jesu Christi füllt die
Breite einer sternförmig gewölbten Nische aus. Er ruht
auf einem Bahrtuch, das zwei Engel behutsam halten. Hinter dem
Leichnam erheben sich drei trauernde Frauen mit Salbgefäßen.
Krabbengeschmückte Bögen bekrönen die Grabnische.
Im mittleren Bogenfeld befindet sich eine kleine Nische. Während
des Jahres barg sie früher das Totenlicht, das an Gedenktagen
für die Verstorbenen entzündet wurde.
Am Gründonnerstag wurde die konsekrierte Hostie in der Nische
aufbewahrt und während der Nacht bis zum Karfreitagsgottesdienst
von der Dorfbevölkerung anbetend verehrt.
Am Sockelgeschoß sitzen drei schlafende Wächter. Rechts,
seitwärts an der Wand, kniet auf einem Kragstein die Figur
des Stifters. Dieser war ein Speyerer Domherr und stammt vermutlich
aus dem Geschlecht derer von Flörsheim.
Die Beschädigung der schlafenden Wächter geht auf die
Kriegswirren des Jahres 1813 zurück.
Der Schöpfer des Kunstwerks dürfte aus dem Kreis der
Heidelberger Hofbildhauer stammen, deren Spuren nach Speyer und
in die Katharinen-Kirche zu Oppenheim führen.
Das Dalbergische Grabmal
An der Langhausnordwand, kurz vor der Seitenkapelle
zu Ehren der Himmelskönigin Maria, ist das über zwei
Meter hohe Doppelgrabmal der Dalberger aufrecht in die Wand eingelassen.
Die Umschrift der rechteckig gerahmten Nische verrät, dass
Katharina von Cronberg, die ehrsame Hausfrau des Hanns Kämmerers
von Worms genannt von Dalberg, am Gedenktag der Maria Magdalena
im Jahr 1510 verschied.
Am 22. Oktober des Jahres 1531 verstarb auch ihr Gatte, Hanns
Kämmerer von Worms genannt von Dalberg,
Sohn d. Philipp Kämmerer von Worms und der Barbara v. Flersheim.
Die fast vollrund gearbeiteten Bildnisfiguren
der Verstorbenen füllen die flache Nische.
Hanns von Dalberg trägt die erzgepanzerte Rüstung seiner
Zeit, faltet die Hände zum Gebet und hält dazwischen
einen Perlenkranz.
Das Visier des Helms ist hochgeklappt, so
dass die edlen Gesichtszüge zutage treten. An der Rüstung
fehlen weder Halskragen noch die Schulterplatten.
Die noch jugendliche Gemahlin trägt eine Haube als Kopfbedeckung.
Eine Kinnbinde verdeckt ihren Mund. Das in reichen Falten bis
zu den Füßen reichende Gewand wird mittels einer Spange
zusammengehalten. Eine Kette schmückt den entblößten
Hals.
Zu Häupten jeder Bildnisfigur ist das Familienwappen angebracht.
Helmzier und ein Spangenhelm bekrönen das mit Ranken und
Blattwerk eingerahmte Wappen des Dalbergers.
Aus der Platte ist das Cronberger Wappen, das ein Engel vor sich
hält, gemeißelt. Es zeugt von der hohen Bildhauerkunst
des 16. Jahrhunderts. Das Grabmal ist vermutlich ein Frühwerk
des Meisters von Oppenheim, der in der Katharinenkirche das Doppelgrabmal
des Wolff Dalberg (gest. 1522) und seiner Gemahlin, der Agnes
von Sickingen (gest. 1517), geschaffen hat.
Umschrift des Doppelgrabmales
o. rechts: ANNO 1510 VF S MARIA MAGTALENE
rechts: STARB DIE ERSAM FRAV CATERINE VON CRONBERG
HANS KEMERERS VON WORMS GNANT VON DALB
unten (s. Abb.): EGS HAVSFRAV DER SEL GOT GNAD | ANO 1531 IST GSTORBE VFF
links: DE 22. TAG OCTOBER DER ERNVEST HANNS KEMERER VO WORMS GNT VO DALBERG DER SELE ' GOT
o. links: GEADE
Der in situ auf dem Kopf stehende untere Textbalken,
wo sich zwei Epochen begegnen, wie die Schriftformen und Zeitangaben belegen.
Für Katharina von Kronberg wurde eine mit Enklaven und Ligaturen durchsetzte
Kapitalis verwendet, die an gotische Majuskelschriften erinnert
und eine traditionelle Zeitangabe nach dem Kirchenjahr gebraucht.
Für Hans von Dalberg dagegen eine Renaissance-Kapitalis mit säkularer Zeitangabe.
Blick vom Chor zu den Emporen
Für den, der im Chor, ganz gleich
von welchem Standort, das Langhaus überblickt, der ist überrascht
von der Schlichtheit der Anlage. Sie imponiert durch ihre Harmonie
und verbindet im Zusammenspiel von Licht und Farbe Zeitlosigkeit
und Lebendigkeit.
Im Westteil des Langhauses schafft eine zweigeschossige Empore
aus den Jahren 1774 - 1779 ein ausgewogenes Architekturbild.
Die obere, im Jahr 1890 zur Aufnahme der Orgel und der Sänger
erweitert, wurde der unteren in Konstruktion und Gliederung angepasst.
Die Farbgebung passt sich der gesamten Raumgestaltung an.
In den Winkeln zwischen Langhaus und Turm verschafft je eine
Stiege den Zugang.
Das Gestühl der unteren Empore stammt aus dem Mittelalter.
Es ist aus Eichenstämmen roh gezimmert. Diese Art der Fertigung
genügte damals der völlig anspruchslosen Landbevölkerung.
Die Ausstattung des Langhauses enthält mehrere Kunstwerke.
Nur die wichtigsten sollen erwähnt werden.
Die barocke Skulptur des hl. Sebastianus an der Südwand zeigt den Heiligen,
wie er gefesselt an einen Baumstamm und durchbohrt von Pfeilen sein Martyrium erleidet.
Dieses beachtenswerte Kunstwerk war von 1774 - 1889 im Altarraum aufgestellt.
Dicht daneben ist ein Gemälde, ein venezianisches Kunstwerk
aus dem 17. Jahrhundert. Es zeigt die hl. Sippe.
Epitaph d. Dieter Kämmerer von Worms. Umschrift in got. Minuskeln:
Anno · domini · M · cccc[?] | · xiiii · vf · den · dritten · dag · de[s · m]onets ·
octobris · | Starbe · der erenvest · | diether · kemmerer · von · wormbs · genant · von · dalbrg · |
· ist · dieser · zweier | · san · gewest · den · | selen · got · genedig · [sy]
Gegenüber an der Nordseite verdient das sog. Missionskreuz aus
der Zeit um 1780 Beachtung. Joachim Günther (1717-1789), Hofbildhauer unter den Fürstbischöfen von Speyer,
schuf es zusammen mit den Figuren des hl. Urban und des hl. Martin (heute im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg)
für den Hochaltar der 1779 erneuerten Kirche.
Rechts davon ist eine Figur der hl. Ottilia an der Wand angebracht, deren Kult
in St. Martin einmal von einiger Bedeutung war, gibt es hier doch einen Ottilienberg
mit einem Bildhäuschen der Heiligen.
Dargestellt ist die Patronin der Blinden und Sehgeschädigten als Äbtissin,
denn sie ist die Gründerin eines Frauenklosters auf dem berühmten Mont Sainte-Odile im nahen Elsaß.
Interesse beanspruchen auch die aufrecht in die Wand eingelassenen
Grabplatten des Diether Kämmerer von Worms gen. von Dalberg (s. Detailaufnahme links)
und
eine nicht mehr lesbare mit einem Engel als Schildhalter (Dalberg/Kronberg),
die sich in unmittelbarer Nähe der Gruft der Dalberger befinden.
Eine dritte Grabplatte, beim Kanzelaufgang angebracht, berichtet
von einem Knaben namens Christopherus, der im Alter von nur sechs
Monaten 1626 verschied. Die Umschrift, so weit noch lesbar, lautet:
ANNO DOMINT 1626 OBYT PRAENOBILIS PVER [PHILIPP]VS CHRISTOPHERVS
CAMERARIVS DE WORMATIA DICTVS A DALBVRG AETATIS SVAE SEX MENSM
Seine Eltern sind:
Philipp Balthasar Kämmerer v. Worms gen. v. Dalberg (1597 - 10.4.1639),
und Magdalena v. Warsberg (gest. 26.12.1647). Die Warßberger (v. Varsberg) sind ein lothringisches Geschlecht.
Weitere Denkmäler im Außenbereich der Kirche
- Epitaph des Peter von Kropfesberg v. 1383 (Nordseite der Kirche)
- Doppelepitaph der Eheleute Anna von Dalberg [Tochter d. Hans v. Dalberg und d. Katharina von Kronberg s. o., +1519] und Diether Landschad von Steinach [+1519]. Umschrift in
Renaissance-Kapitalen: ANO · 1519 · VF · MIT · WOCH · NOCH · S[...] VND ERSAM FRAWE ANNA KEMMERER [...]THER LANSCHADEN VON S[...] (Nordseite d. Kirche)
- Flachrelief mit Kreuzigungsszene (Turmuntergeschoß)
- Eh. Friedhofskreuz (Kirchenvorplatz)
Die "Kellerei-Madonna"
Die Marientopographie ist in unserem
Raum nirgends so geprägt wie in St. Martin. Durch die Fülle
der Hausfiguren erhielt der Ort die Bezeichnung "Dorf
der Madonnen". Mitten im Feld,
an Straßenkreuzungen und Plätzen ließ man ihr
eine Statue oder Bethäuschen errichten.
Alle St. Martiner Bildwerke aufzuführen würde Seiten
füllen, deshalb soll nur eine Schöpfung stellvertretend
für alle andern genannt werden.
Mitten im Dorf, an der Fassade des ehemaligen Dalbergischen Freihofes,
steht an der nordwestlichen Ecke des Gebäudes in einer zwei
Meter hohen Nische mit Muschelbaldachin, die aus rotleuchtendem
Vogesensandstein stilvoll gehauen ist, eine 1,50 m hohe Holz-Madonna
aus dem 16. Jahrhundert. Die Skulptur ist aus Lindenholz und
bildet in ihrer Ausführung als Werk der Renaissanceperiode
das Gegenstück zur Madonna von Limburg, Pfalz, jetzt in
der Kirche "St. Maria im Kapitol" zu Köln.
Im vortretenden Sockel zeichnet sich in der Mitte der Wappenschild
der Dalberger mit der fünfzackigen Krone ab.
Der Schild
ist quadriert und folgend gezeichnet: oben rechts das Tatzenkreuz (Dalberg),
unten rechts sechs Lilien (Kämmerer v. Worms), zur Linken oben die sechs Lilien,
darunter das Kreuz.
Der grelle Farbanstrich der Madonna ändert jedoch nicht
die Formen, die edel und würdig sind. In der Rechten hält
die Gottesmutter das Szepter, in der Linken das nach auswärts
gebogene Kind. Auf dem Haupt trägt sie eine gezackte Krone.
Das Bildwerk ist tadellos geschnitzt.
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