Die Pfarrkirche St. Martin

und ihre sakralen Kunstwerke

Der Treppenaufgang
Martinsplastik und Friedhofskreuz

Kirche und Martinus-Statue Die Pfarrkirche zählt zu den baulichen Kostbarkeiten St. Martins. Sie erhebt sich gebieterisch auf einem Hügel am Nordrand des Dorfes, gleichsam als wollte sie alles, was sich ihr zu Füßen ausbreitet, unter ihren Fittichen vereinen und beschützen.
Der Aufstieg zur Kirche führt von Süden her über einen reizvollen Treppenaufgang durch den Torbogen einer hohen Stützmauer zum Kirchenvorplatz.

Westlich des Turms erinnert ein steinernes, barockes Kreuz mit Tisch-Sockel an den ehemaligen Friedhof, der sich einst rings um die Kirche ausdehnte.
1830 verpflichtete ein Gesetz alle Gemeinden, die über tausend Einwohner zählten, ihre Toten außerhalb der Ortschaft zu bestatten. Die Gemeinde erwarb östlich des Dorfes einen neuen Begräbnisplatz, der 1831 eingesegnet wurde. Der alte Kirchhof verödete. 1879 wurden alle restlichen Gräber eingeebnet und auf dem ungenutzten Gelände nördlich der Kirche ein neues Schulhaus erstellt.
Auf dem Gesims der Stützmauer, die den Kirchenvorplatz einfriedet, erhebt sich über dem Treppenportal, eingeschlossen in den Kreislauf der Natur und der Arbeit, die fast lebensgroße Steinfigur des hl. Martinus. Seine rechte Hand reicht einem Bettler, der ihm zu Füßen kniet, ein Almosen. In vollem Bischofsornat, den Hirtenstab in der Linken, blickt der Heilige über die Dächer und Fluren des Dorfes, das ihn seit frühester Zeit zum Kirchen- und Dorfpatron erhoben hat. In edler Gebärde auf sein hohes Amt hinweisend, mahnt er die Menschen, die seine Hilfe und seinen Schutz begehren, die ewige Wahrheit vor die Vergänglichkeit des irdischen Lebens zu stellen.

Die Geschichte der Pfarrkirche

Martinusstatue Das Patrozinium des heiligen Martinus geht auf eine in fränkischer Zeit errichtete Kirche zurück. Damals erstellten vermögende Grundherren auf ihrem Grund und Boden Eigenkirchen, die dem stürmisch verehrten Nationalheiligen, dem Bischof Martin von Tours, geweiht wurden. Der Grundherr war Eigentümer der Kirche und heuerte einen Geistlichen an. Eine Urkunde, die den Baubeginn der hiesigen Kirche belegt, ist nicht vorhanden, die architektonischen Formen der Untergeschoße des Turmes weisen aber auf das letzte Drittel des 11. Jahrhunderts als Baubeginn eines ersten Steinbaues.

Eine Urkunde aus dem Jahr 1203 berichtet, dass die Kapelle "in villa quae dicitur apud sanctum Martinum" aus seelsorgerlichen Gründen von ihrer bisherigen Pfarrei Kyrwile (Kirrweiler) abgetrennt und zur selbständigen Pfarrei erhoben wird.
Gleichzeitig wird das Patronatsrecht an dieser Kirche dem Counrad de Cropfesberg (Konrad von Kropsberg), welcher zahlreiche Stiftungen zur Dotierung der Pfarrpfründe geleistet hat, als Seniorats-Erbrecht im Mannesstamme verliehen.

Eine weitere Urkunde aus dem Jahr 1285 bezeugt einen Pleban (Leutpriester) namens Heinrich zu St. Martin.

Die Kirche jener Zeit dürfte kurz nach 1200 erbaut worden sein. Dies geht aus einem Schreiben des St. Martiner Gerichts 1756 hervor. Der anlangende Text lautet: "Das Gotteshaus, das um 1200 erbaut worden ist, befindet sich in einem desolaten Zustand." Vermutlich musste damals eine abbruchreife Kapelle einem soliden, dreischiffigen Steinbau weichen.
"Die Kirche ist ganz mit Wölbungen bis zum Dach hoch gut gebaut", bezeugte Kaplan Schwabius in einem Visitationsbericht des Jahres 1583.

Bis zur Reformation gehörte die Pfarrei St. Martin zum Dekanat Weyher, dem 54 Ortschaften unterstanden. Der Dekan übte die Aufsicht über die Pfarreien aus. Er selbst unterstand als Archidiakon dem Dompropst zu Speyer.
1487 beurkundete der Speyerer Dr. jur. utr. Generalvikar Georg von Gemmingen die Vereinigung des Benefiziums der Pfarrkirche "Decem millium martyrum" mit dem Benefizium "Sankt Aegidi" auf der Kropsburg.
Dies hatte unter anderem zur Folge, dass die Lehensträger der Kropsburg, die Kämmerer von Worms genannt von Dalberg, die Pfarrkirche mit erlesenen Kunstwerken ausstatteten. Der Um- und Erweiterungsbau der Kirche in den Jahren 1488 und 1492 dürfte mit der Pfründenvereinigung im Jahr 1487 in engem Zusammenhang gestanden haben.

Pfarrkirche St. Martin - Pfalz: Ostchor mit Diagonalkapellen Vermutlich hat Junker Hanns von Dalberg im Jahr 1492 den Bau des Chors angeregt, dessen Anlage mit dem der Herxheimer Kirche eng verwandt ist.
Bereits 1465 ließ Junker Hanns von Dalberg, der Sohn des Philipp, einen gewölbten Anbau östlich des Nordseitenschiffs als Begräbnisstätte erstellen.
Die Instandhaltung oder Errichtung des Mittelbaus oblag den Empfängern des Weinzehnten, mit Namen: Junker Erhart von Ramberg, die Kämmerer von Worms genannt von Dalberg und die Domherren zu Speyer. Der Pastor zu St. Martin musste den Chor decken und unter Dach halten. Der Gemeinde oblag die Errichtung oder Instandhaltung des Turms.

1774 bat der Fürstbischof zu Speyer das "Hochwürdige Hohe Domkapitel" und Gottlob Amand von Dalberg, das baufällige Langhaus durch einen Neubau ersetzen zu wollen.
Daraufhin wurde der dreischiffige, mit Rippengewölben versehene Mittelbau abgetragen und durch einen verbreiterten flachgedeckten Saalbau ersetzt, der den Turm in den Kirchenraum einbezog.
Am 6. Oktober des Jahres 1779 fand die feierliche Einweihung der erweiterten Kirche statt. Im Chor stand ein byzantinischer Altar, der dem hl. Martinus geweiht war. Der Altar zu Ehren der Gottesmutter Maria und der des hl. Josef standen außerhalb des Chorraumes. Der antike Benefiziataltar "Von den Zehntausend Märtyrern" verblieb weiterhin in der Kirche, und zwar beim Grabmal der Dalberger.

Pfarrkirche St. Martin - Pfalz: Symbol des Evangelisten Johannes Die Einwohnerzahl des Dorfes stieg ständig. 1889 beauftragte der Fabrikrat den Architekten Ferdinand Bernatz von Speyer, den Kirchenerweiterungsbau durchzuführen.
Der spätgotische Chor wurde abgetragen und östlich des erweiterten Langhauses in den alten Bauformen wieder erstellt.
Die Flachdecke des um drei Fensterachsen verlängerten Langhauses erhielt Malereien, die die Aufmerksamkeit des Besuchers auf sich ziehen. Im Mittelfeld, gerahmt von reichem Rankenwerk, erscheinen das Lamm Gottes mit den Attributen der vier Evangelisten: Engel (Matthäus), Adler (Johannes, s. Abb.), Löwe (Markus) und Stier (Lukas).
Um eine gute Proportion zwischen Turm und Kirchengebäude herzustellen, wurde der Turm um zehn Meter erhöht.
Durch den Erweiterungsbau beträgt die Flächenzunahme des Kirchenschiffs etwas mehr als 40%.
Die Kirche ist 41 m lang und 17,5 m breit. Der Chor hat eine Breite von 7,5 Metern.

Der Innenraum der Kirche

Pfarrkirche St. Martin - Pfalz: Blick zum Chor Durch das spitzbogige Westportal, über dem die Jahreszahl 1488, das Jahr der Erneuerung desselben eingemeißelt ist, gelangt der Besucher zunächst ins Turmuntergeschoß, dessen Decke aus einem Rippenkreuz-Gewölbe besteht. Die gekehlten Rippen entwachsen unmittelbar der Wand. Auf dem Schlußstein im Schnittpunkt der Rippen sind das Gemeindezeichen und die Jahreszahl 1490 eingemeißelt. Der viergeschossige Turm springt in das Langhaus ein.
Wer nun die Kirche betritt, wird überrascht sein. Der hohe, lichte Innenraum, die Formen und die ausgewogene Farbgebung verbreiten Harmonie.
Gerichtssiegelzeichen im Turmuntergeschoß Der flachgedeckte Saalbau mündet in den spätgotischen Chor, den polygone Seitenkapellen flankieren.
Die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes, die Verfasser der Heils- und Frohbotschaft, beherrschen das Langhaus. Sie dominieren im Mittelfeld der bemalten Decke, dekorieren figürlich den Korpus der kelchförmigen Kanzel und heben als plastisch modellierte Symbolfiguren die Eckpfeiler des Zelebrationsaltars hervor.
Das Langhaus war, wie oben beschrieben, im Mittelalter dreischiffig. Es wich 1774-1779 einer barocken und 1890 einer neugotischen Anlage.
Die spitzbogigen, zweigeteilten Fenster und die reiche Innenausstattung wurden 1890 im "gotischen Style" geschaffen.

Pfarrkirche St. Martin - Pfalz: Mittleres Chorfenster Ein Chorbogen trennt den Altarraum vom Langhaus. An den Pfeilern sind die barocken, fast lebensgroßen Skulpturen des hI. Martin und Urban angebracht. Die eindrucksstarken Glasgemälde in Chorraum und Seitenkapellen schuf 1891 der Künstler Josef Machhausen aus Horchheim bei Koblenz. Die Glasgemälde zu beiden Seiten des Mittelfensters sind eine Schöpfung der Münchener Kunstwerkstatt aus dem Jahr 1935.

Pfarrkirche St. Martin - Pfalz: St. Cäcilia, Patronin der Kirchenmusik Der Innenraum der Kirche wurde 1985/86 einer gründlichen Renovierung unterzogen, womit Architekt Wilfried Schulz aus Neuhofen bei Speyer beauftragt wurde.
Um dem Saalbau Gleichförmigkeit zu geben, wurden die Grablegung Christi und das Doppelgrabmal des Hanns von Dalberg und seiner Gemahlin Katharina geb. Cronberg versetzt.
Die Altäre und die Kanzel passen sich durch die neue Farbgebung (Eiche natur) der gesamten Raumgestaltung an. Die barocken Beichtstühle wurden tiefer in die Seitenwände eingelassen und der Fußboden mit Marmor aus der burgundischen Partnergemeinde Chassagne-Montrachet belegt. Außerdem wurden die Fenster des Schiffs und der Seitenwände des Chors farbig gestaltet, sämtliche Skulpturen neu gefasst und Decke und Wände saniert. Mehr denn je strahlt nun die Kirche Würde und Wärme aus.

Der Altarraum

Der Altarraum öffnet sich in einem Spitzbogen. Sieben zweigeteilte Fenster mit Maßwerk in verschiedenen Figurationen erhellen den dreiseitig geschlossenen Raum. Junker Hanns von Dalberg hat 1492 den spätgotischen Bau angeregt und Jakob von Landshut damit betraut.

Pfarrkirche St. Martin - Pfalz: Chorgewölbe Pfarrkirche St. Martin - Pfalz: Wappen d. Bischofs Ludwig von Helmstadt Das Netzgewölbe umfasst drei Joche. Die gekehlten Rippen ruhen auf profilierten Polykonsolen, denen Köpfe, vermutlich die Büsten des Baumeisters und dessen Ehefrau, vorgelegt sind. Der Gewölbegrund zeigt als Schlußsteine Tartschen mit den aufgemalten Wappen des Bischofs Ludwig von Helmstadt/Helmstatt (1478-1504), der Ritter von Dalberg und derer von Flersheim (Flörsheim / blau-silber-rot geteilt). Das Gewölbesystem könnte von Straßburg angeregt worden sein. Die Reihung der schildförmigen Rippenmotive ergibt ein eigenartiges Gewölbesystem. Grimschitz bezeichnet es als "Rippenführung in gegenständlichen Schildpaaren".

Pfarrkirche St. Martin - Pfalz: Gewölbekonsole Drei Stufen führen zum Hauptaltar, den der Künstler Josef Staudenmaier aus Klein-Süssen (Württemberg) geschaffen hat. Das Antependium besteht aus drei Füllungen, die im Hochrelief die Emmaus-Szene (Mitte), das Opfer des Meichisedech (rechts) und das Opfer des Abraham (links) darstellen. Der Altaraufsatz besteht aus Eichenholz. Er enthält den reich dekorierten Tabernakel. Darüber ist eine offene Nische mit Baldachin und durchbrochenem Turmaufbau. In der Nische steht ein geschnitztes Kreuz mit dem Corpus Christi im gotischen Stil, das zwei anbetende Engel flankieren.
Der Altaraufbau wird durch die Figuren des hl. Kaisers Heinrich II. und seiner Gemahlin Kunigunde abgeschlossen. Der Kaiser hält ein Modell des Bamberger Doms in Händen.
Den Zelebrationsaltar und den Ambo aus fränkischem Marmor schuf 1986 der Künstler Leopold Hafner aus Aicha Vorm Wald. Die Weihe des Altars fand am 8. März 1986 statt.

Das Sakramentshäuschen

Pfarrkirche St. Martin - Pfalz: Sakramentshäuschen Pfarrkirche St. Martin - Pfalz: Sakramentshäuschen - Detail Das Sakramentshäuschen an der linken Chorseite der Pfarrkirche ist eine beachtenswerte Schöpfung des frühen 16. Jahrhunderts. Ein ähnliches Kunstwerk besitzt in der Pfalz nur die Pfarrkirche in Herxheim.
Der Sockel ist gut gegliedert. Ein gekehlter Ständer mit gewundenen Stäben trägt einen nach drei Seiten offenen Tabernakel. Hinter dem schmiedeeisernen in Durchsteckarbeit gefertigten Gitter wurden nach alten Berichten das Sanktissimum, ein Meßkreuz, drei silberne Kapseln mit Chrisam "und andere heilige Dinge" sowie eine vergoldete Monstranz aufbewahrt.
Den Tabernakel krönen mit Maßwerk und Krabben gezierte Kielbogen und Fialen, aus denen ein durchbrochener Turmaufsatz mit Spitzhelm aufsteigt.
Dieses Werk der Steinmetzkunst erreicht eine Höhe von etwa sechs Metern.
Nach dem Konzil von Trient (1545- 1563) wurden die Sakramentshäuschen überflüssig. Die Konzilsväter hatten beschlossen, dass künftighin das Sanktissimum auf dem Hauptaltar in einem Tabernakel aufzubewahren ist. Das Ewige Licht im Sakramentshäuschen weist auf die Gegenwart Christi im Tabernakel hin.

Die Kanzel

An der Langhausnordwand, wo sich früher der Chor öffnete, erhebt sich wie ein Kelch die Kanzel. 1890 schuf sie der Künstler Josef Staudenmaier aus Klein-Süssen (Württemberg), aus dessen Werkstatt auch die drei Altäre der Kirche stammen.
Auf einem Sandsteinsockel basiert der Ständer, der den achteckigen Korpus trägt. In den Nischen der Brüstung stehen auf Postamenten die vier Evangelisten mit Symbolfiguren. Das Mittelfeld zeigt Maria, die Königin der Apostel. Die Nischen sind mit Ornamenten besetzt
Der Schalldeckel, der als spätgotische Gewölbekonstruktion ausgeführt ist, endet in der Vertikalen als Fiale, deren Tabernakel den Guten Hirten birgt
Korpus und Schalldeckel sind aus Eichenholz.
Das barocke Vortragskreuz an der Rückwand, ein Kunstwerk aus dem 18. Jahrhundert, verdient Bewunderung.

Die spätgotische Himmelskönigin

Pfarrkirche St. Martin - Pfalz: Dalberg-Madonna Die Marienstatue auf dem nördlichen Seitenaltar ist das älteste Kunstwerk in der Kirche. Vermutlich haben die Ritter von Dalberg, die als Lehensträger die Kropsburg innehatten, neben dem Sakramentshäuschen und anderen Ausstattungen auch die Madonna 1490 gestiftet.
Die St Martiner waren damals nicht imstande, ein derartiges Meisterwerk zu erwerben. Häufige Missernten, Fron, hohe Abgaben und Unfreiheit trieben viele Menschen in unvorstellbare Armut.
Die Altarplastik ist ein erlesenes Holzschnitzwerk. Gotischer Idealismus, zarte Innigkeit und königliche Anmut prägen die Gestalt der Gottesmutter, die sich in S-Schwingung erhebt.
Auf dem mädchenhaften, von langem Haar umrahmten Haupt erglänzt die Krone der Himmelskönigin.
Versöhnend wirkt das vollrunde Kinn mit den reizvollen Grübchen. Aus einem Faltenknäuel ragt die schmale Hand der Himmelskönigin. Sie fasst behutsam das unbekleidete göttliche Kind. Die rechte Hand stützt ehrfürchtig Fuß und Bein des Knaben.
Zu Füßen der Gottesmutter ist ein Sichelmond, auf dem die Falten des Gewandes aufsitzen.
Die Madonna, ein Werk spätgotischen Schaffens, repräsentiert keine bäuerlichen Züge, sondern die Empfindungen und Kultur des Adels.

St. Martin und St. Urban

Grundriss und Bauentwicklung Unter den zahlreichen plastischen Werken fallen die barocken Statuen des hl. Martin und hl. Urban durch Form- und Farbgebung auf. Die Skulpturen sind an den Pfeilern des Chorbogens zu erkennen. Der hl. Martin wird hierorts als Dorf- und Kirchenpatron auf besondere Weise verehrt. Mit seinem Namen hat sich sein Fortwirken als Brauchtum entwickelt. Der Martinstag, das ist der 11. November, wird festlich begangen.
In der Kirche tritt der Heilige den Beschauern als Bischof entgegen, der einen Hungrigen speist Das Kunstwerk nimmt einen Ehrenplatz ein. Damit will man der vielseitigen Bedeutung des Dorf- und Kirchenpatrons gerecht werden und ihn noch vertrauter machen.
Die Geste des Heiligen erinnert an seine nimmermüde Hirtensorge, an seine erbarmende Liebe, die Hilfesuchenden und Entrechteten Trost und Schutz gab.
Als Gegenstück blickt St. Urban auf die Kirchenbesucher herab. Das Fest dieses heiligen Bischofs fällt auf den 25. Mai.
Schon seit Jahrhunderten verehren die Winzer den hI. Urban als ihren Schutzpatron. Sie sehen in ihm einen mächtigen Fürsprecher bei Gott, der sich für ihre Belange einsetzt. Er soll ihre Arbeit und die Weinberge segnen, damit nicht Rebschädlinge oder Unwetter ihre Ernte vernichten.
St. Urban war einst Bischof von Autun und Langres in Burgund. Einmal, so berichtet die Legende, stellten ihm seine Feinde nach. Als sie ihm dicht auf den Fersen waren, suchte er Schutz hinter einem Weinstock.
Diese Überlieferung hat zur Folge, dass der heilige Urban häufig mit einer Traube oder Rebe dargestellt wird.

Die Schutzheiligen: St. Wendlinus, St. Sebastianus

Der Innenraum der Kirche ist mit figürlichem Schmuck ausgestattet. Er zielt in seiner Wirkung darauf ab, neben dem Dorf- oder Winzerpatron die Aufmerksamkeit auf die Skulpturen des hl. Sebastian und des hl. Wendelinus, beiderseits des Langhauses, zu lenken.
Die Verehrung der beiden Schutzheiligen geht in das frühe Mittelalter zurück und währte in besonderem Maße bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges.
1779 erhob die von Leid und Schicksalsschlägen erschütterte Gemeinde den Pestschutzheiligen St. Sebastianus und den Viehseuchenheiligen St. Wendelinus zu Nebenpatronen und stellte deren Bildnisse als Zeichen besonderer Würdigung zu beiden Seiten des Hauptaltares auf. Außerdem legte die Gemeinde das Gelöbnis ab, die beiden Heiligen "auf ewige Zeiten" zu verehren und deren Gedenktage feierlich zu begehen.
St. Wendelinus ist als Hirte, St. Sebastianus als römischer Offizier figürlich dargestellt.

Die Grablegung Christi

Pfarrkirche Sankt Martin - Pfalz: Grablegung Christi Vor dem Zugang zur Seitenkapelle des hl. Josef, in die Südwand des Langhauseseingelassen, ist eine der bedeutendsten spätgotischen Arbeiten unseres Raumes, ein Steinrelief der Grablegung Christi aus dem Jahr 1514. Das Kunstwerk dehnt sich auf einer Fläche von 1,75 m auf 3,00 m aus. Der heilige Leichnam Jesu Christi füllt die Breite einer sternförmig gewölbten Nische aus. Er ruht auf einem Bahrtuch, das zwei Engel behutsam halten. Hinter dem Leichnam erheben sich drei trauernde Frauen mit Salbgefäßen. Krabbengeschmückte Bögen bekrönen die Grabnische. Im mittleren Bogenfeld befindet sich eine kleine Nische. Während des Jahres barg sie früher das Totenlicht, das an Gedenktagen für die Verstorbenen entzündet wurde.
Am Gründonnerstag wurde die konsekrierte Hostie in der Nische aufbewahrt und während der Nacht bis zum Karfreitagsgottesdienst von der Dorfbevölkerung anbetend verehrt.
Am Sockelgeschoß sitzen drei schlafende Wächter. Rechts, seitwärts an der Wand, kniet auf einem Kragstein die Figur des Stifters. Dieser war ein Speyerer Domherr und stammt vermutlich aus dem Geschlecht derer von Flörsheim.
Die Beschädigung der schlafenden Wächter geht auf die Kriegswirren des Jahres 1813 zurück.
Der Schöpfer des Kunstwerks dürfte aus dem Kreis der Heidelberger Hofbildhauer stammen, deren Spuren nach Speyer und in die Katharinen-Kirche zu Oppenheim führen.

Das Dalbergische Grabmal

An der Langhausnordwand, kurz vor der Seitenkapelle zu Ehren der Himmelskönigin Maria, ist das über zwei Meter hohe Doppelgrabmal der Dalberger aufrecht in die Wand eingelassen. Die Umschrift der rechteckig gerahmten Nische verrät, dass Katharina von Cronberg, die ehrsame Hausfrau des Hanns Kämmerers von Worms genannt von Dalberg, am Gedenktag der Maria Magdalena im Jahr 1510 verschied.
Am 22. Oktober des Jahres 1531 verstarb auch ihr Gatte, Hanns Kämmerer von Worms genannt von Dalberg, Sohn d. Philipp Kämmerer von Worms und der Barbara v. Flersheim.
Die fast vollrund gearbeiteten Bildnisfiguren der Verstorbenen füllen die flache Nische.

Pfarrkirche Sankt Martin - Pfalz: Dalberg-Epitaph Hanns von Dalberg trägt die erzgepanzerte Rüstung seiner Zeit, faltet die Hände zum Gebet und hält dazwischen einen Perlenkranz. Das Visier des Helms ist hochgeklappt, so dass die edlen Gesichtszüge zutage treten. An der Rüstung fehlen weder Halskragen noch die Schulterplatten.
Die noch jugendliche Gemahlin trägt eine Haube als Kopfbedeckung. Eine Kinnbinde verdeckt ihren Mund. Das in reichen Falten bis zu den Füßen reichende Gewand wird mittels einer Spange zusammengehalten. Eine Kette schmückt den entblößten Hals.
Zu Häupten jeder Bildnisfigur ist das Familienwappen angebracht. Helmzier und ein Spangenhelm bekrönen das mit Ranken und Blattwerk eingerahmte Wappen des Dalbergers.
Aus der Platte ist das Cronberger Wappen, das ein Engel vor sich hält, gemeißelt. Es zeugt von der hohen Bildhauerkunst des 16. Jahrhunderts. Das Grabmal ist vermutlich ein Frühwerk des Meisters von Oppenheim, der in der Katharinenkirche das Doppelgrabmal des Wolff Dalberg (gest. 1522) und seiner Gemahlin, der Agnes von Sickingen (gest. 1517), geschaffen hat.

Umschrift des Doppelgrabmales

o. rechts: ANNO 1510 VF S MARIA MAGTALENE
rechts:  STARB DIE ERSAM FRAV CATERINE VON CRONBERG HANS KEMERERS VON WORMS GNANT VON DALB
unten (s. Abb.): EGS HAVSFRAV DER SEL GOT GNAD | ANO 1531 IST GSTORBE VFF
links: DE 22. TAG OCTOBER DER ERNVEST HANNS KEMERER VO WORMS GNT VO DALBERG DER SELE ' GOT
o. links: GEADE

Unterer Textbalken am Dalbergischen Epitaph Der in situ auf dem Kopf stehende untere Textbalken, wo sich zwei Epochen begegnen, wie die Schriftformen und Zeitangaben belegen. Für Katharina von Kronberg wurde eine mit Enklaven und Ligaturen durchsetzte Kapitalis verwendet, die an gotische Majuskelschriften erinnert und eine traditionelle Zeitangabe nach dem Kirchenjahr gebraucht. Für Hans von Dalberg dagegen eine Renaissance-Kapitalis mit säkularer Zeitangabe.

Blick vom Chor zu den Emporen

Pfarrkirche Sankt Martin - Pfalz: Kruzifixus von Joachim Günther (Ausschnitt) Für den, der im Chor, ganz gleich von welchem Standort, das Langhaus überblickt, der ist überrascht von der Schlichtheit der Anlage. Sie imponiert durch ihre Harmonie und verbindet im Zusammenspiel von Licht und Farbe Zeitlosigkeit und Lebendigkeit.
Im Westteil des Langhauses schafft eine zweigeschossige Empore aus den Jahren 1774 - 1779 ein ausgewogenes Architekturbild. Die obere, im Jahr 1890 zur Aufnahme der Orgel und der Sänger erweitert, wurde der unteren in Konstruktion und Gliederung angepasst. Die Farbgebung passt sich der gesamten Raumgestaltung an. In den Winkeln zwischen Langhaus und Turm verschafft je eine Stiege den Zugang.

Das Gestühl der unteren Empore stammt aus dem Mittelalter. Es ist aus Eichenstämmen roh gezimmert. Diese Art der Fertigung genügte damals der völlig anspruchslosen Landbevölkerung.

Die Ausstattung des Langhauses enthält mehrere Kunstwerke. Nur die wichtigsten sollen erwähnt werden.

Die barocke Skulptur des hl. Sebastianus an der Südwand zeigt den Heiligen, wie er gefesselt an einen Baumstamm und durchbohrt von Pfeilen sein Martyrium erleidet. Dieses beachtenswerte Kunstwerk war von 1774 - 1889 im Altarraum aufgestellt.

Dicht daneben ist ein Gemälde, ein venezianisches Kunstwerk aus dem 17. Jahrhundert. Es zeigt die hl. Sippe.

Ausschnitt aus dem Epitaph des Dieter Kämmerer von Worms gen. von Dalberg
Epitaph d. Dieter Kämmerer von Worms. Umschrift in got. Minuskeln:
Anno · domini · M · cccc[?] | · xiiii · vf · den · dritten · dag · de[s · m]onets · octobris · | Starbe · der erenvest · | diether · kemmerer · von · wormbs · genant · von · dalbrg · | · ist · dieser · zweier | · san · gewest · den · | selen · got · genedig · [sy]
Gegenüber an der Nordseite verdient das sog. Missionskreuz aus der Zeit um 1780 Beachtung. Joachim Günther (1717-1789), Hofbildhauer unter den Fürstbischöfen von Speyer, schuf es zusammen mit den Figuren des hl. Urban und des hl. Martin (heute im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg) für den Hochaltar der 1779 erneuerten Kirche.

Rechts davon ist eine Figur der hl. Ottilia an der Wand angebracht, deren Kult in St. Martin einmal von einiger Bedeutung war, gibt es hier doch einen Ottilienberg mit einem Bildhäuschen der Heiligen.
Dargestellt ist die Patronin der Blinden und Sehgeschädigten als Äbtissin, denn sie ist die Gründerin eines Frauenklosters auf dem berühmten Mont Sainte-Odile im nahen Elsaß.

Interesse beanspruchen auch die aufrecht in die Wand eingelassenen Grabplatten des Diether Kämmerer von Worms gen. von Dalberg (s. Detailaufnahme links) und eine nicht mehr lesbare mit einem Engel als Schildhalter (Dalberg/Kronberg), die sich in unmittelbarer Nähe der Gruft der Dalberger befinden.

Eine dritte Grabplatte, beim Kanzelaufgang angebracht, berichtet von einem Knaben namens Christopherus, der im Alter von nur sechs Monaten 1626 verschied. Die Umschrift, so weit noch lesbar, lautet:

ANNO DOMINT 1626 OBYT PRAENOBILIS PVER [PHILIPP]VS CHRISTOPHERVS CAMERARIVS DE WORMATIA DICTVS A DALBVRG AETATIS SVAE SEX MENSM

Seine Eltern sind: Philipp Balthasar Kämmerer v. Worms gen. v. Dalberg (1597 - 10.4.1639), und Magdalena v. Warsberg (gest. 26.12.1647). Die Warßberger (v. Varsberg) sind ein lothringisches Geschlecht.

Weitere Denkmäler im Außenbereich der Kirche
  • Epitaph des Peter von Kropfesberg v. 1383 (Nordseite der Kirche)
  •  Doppelepitaph der Eheleute Anna von Dalberg [Tochter d. Hans v. Dalberg und d. Katharina von Kronberg s. o., +1519] und Diether Landschad von Steinach [+1519]. Umschrift in Renaissance-Kapitalen: ANO · 1519 · VF · MIT · WOCH · NOCH · S[...] VND ERSAM FRAWE ANNA KEMMERER [...]THER LANSCHADEN VON S[...] (Nordseite d. Kirche)
  • Flachrelief mit Kreuzigungsszene (Turmuntergeschoß)
  • Eh. Friedhofskreuz (Kirchenvorplatz)
Die "Kellerei-Madonna"

Kellerei-Madonna Die Marientopographie ist in unserem Raum nirgends so geprägt wie in St. Martin. Durch die Fülle der Hausfiguren erhielt der Ort die Bezeichnung "Dorf der Madonnen". Mitten im Feld, an Straßenkreuzungen und Plätzen ließ man ihr eine Statue oder Bethäuschen errichten.
Alle St. Martiner Bildwerke aufzuführen würde Seiten füllen, deshalb soll nur eine Schöpfung stellvertretend für alle andern genannt werden.
Mitten im Dorf, an der Fassade des ehemaligen Dalbergischen Freihofes, steht an der nordwestlichen Ecke des Gebäudes in einer zwei Meter hohen Nische mit Muschelbaldachin, die aus rotleuchtendem Vogesensandstein stilvoll gehauen ist, eine 1,50 m hohe Holz-Madonna aus dem 16. Jahrhundert. Die Skulptur ist aus Lindenholz und bildet in ihrer Ausführung als Werk der Renaissanceperiode das Gegenstück zur Madonna von Limburg, Pfalz, jetzt in der Kirche "St. Maria im Kapitol" zu Köln.
Im vortretenden Sockel zeichnet sich in der Mitte der Wappenschild der Dalberger mit der fünfzackigen Krone ab.
Der Schild ist quadriert und folgend gezeichnet: oben rechts das Tatzenkreuz (Dalberg), unten rechts sechs Lilien (Kämmerer v. Worms), zur Linken oben die sechs Lilien, darunter das Kreuz.
Der grelle Farbanstrich der Madonna ändert jedoch nicht die Formen, die edel und würdig sind. In der Rechten hält die Gottesmutter das Szepter, in der Linken das nach auswärts gebogene Kind. Auf dem Haupt trägt sie eine gezackte Krone. Das Bildwerk ist tadellos geschnitzt.

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